Die Textprüferinnen und Textprüfer für Leichte Sprache
Wir stellen uns vor
Die Expertinnen und Experten für Leichte Sprache bei Proqualis sind Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Sie haben alle Texte für die Ausstellungen vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim geprüft - auch während der Corona-Pandemie.
Obwohl es Teil ihrer täglichen Arbeit ist, Texte auf ihre Verständlichkeit zu prüfen, war es diesmal nicht leicht für sie. Nicht die Sprache machte ihnen Probleme, sondern das erschütternde Thema - ging es doch in fast allen Texten um Menschen mit Beeinträchtigungen, die in der Nazizeit als "unbrauchbar" oder "wertlos" bezeichnet und in der Euthanasieanstalt Hartheim umgebracht wurden. Trotzdem nahmen sie ihre Aufgaben ernst und prüften in vielen "Textprüfungen" sämtliche Texte, die die Mitarbeiterinnen der Gut Verstanden GmbH in zuvor in leicht verständliche Sprache übersetzt hatten.
Was sie bei so einer Textprüfung genau machen und wie es ihnen als Menschen mit Beeinträchtigungen mit diesem schwierigen Thema gegangen ist, erfahren Sie in folgendem Interview mit Herrn Karl Mühlbachler:
Interview mit Karl Mühlbachler,
Qualitätsevaluator und Textprüfer bei Proqualis
Interviewerin:
Lieber Karl, herzlichen Dank, dass du dir für ein Interview Zeit nimmst.
Könntest du bitte den Lesern und Leserinnen kurz erklären, wer du bist?
Wir würden auch gern wissen, wo du arbeitest und was du da genau machst.
Karl:
Mein Name ist Karl Mühlbachler
und ich arbeite als Qualitäts-Evaluator bei Proqualis.
Diese Ausbildung hat 3 Jahre gedauert.
Wir machen Befragungen in Oberösterreich.
Wir besuchen Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen
und befragen die Menschen dort zu den Themen Arbeit und Wohnen.
Wir machen auch Textprüfungen für Texte in leicht verständlicher Sprache.
Interviewerin:
Kannst du uns bitte erklären, was ihr da genau macht?
Karl:
Ja. Wir sind immer mindestens 4 Personen:
3 Prüfer oder Prüferinnen und eine Moderatorin oder ein Moderator.
Seit März 2020 haben wir sehr viel auch online über Skype und Zoom geprüft.
Viele Menschen können Texte in schwieriger Sprache nicht lesen
und dann können sie die Informationen nicht verstehen.
Meine Kollegen, Kolleginnen und ich prüfen Texte in leicht verständlicher Sprache, damit sie alle Menschen verstehen.
Damit alle Menschen die Informationen bekommen,
auch Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Wenn wir etwas nicht verstehen, muss es umgeschrieben werden,
weil es dann keine leicht verständliche Sprache ist.
Interviewerin:
Und genau das habt ihr auch
bei den Ausstellungs-Texten von Schloss Hartheim gemacht:
Ihr habt die Übersetzungen der Texte gemeinsam geprüft und geschaut,
ob ihr sie auch wirklich versteht.
Ihr seid also die Expertinnen und Experten für leicht verständliche Sprache.
Karl:
Ja. Weil wir selbst Menschen mit Lernschwierigkeiten sind.
Interviewerin:
Was hast du vorher schon
über den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim gewusst?
Warst du schon einmal dort?
Karl:
Ich habe schon viel darüber gehört,
weil ich mich schon lange mit dem Thema befasse.
Ich war noch nie dort, aber ich würde die Ausstellung gerne sehen.
Wir haben jetzt viele Texte von Schloss Hartheim geprüft
und die Themen Euthanasie und
Vernichtung von Menschen mit Beeinträchtigungen interessieren mich sehr.
Interviewerin:
Kannst du uns bitte erzählen,
welche Texte ihr für Schloss Hartheim geprüft habt?
Karl:
Wir haben die Texte vom Gedenkort geprüft.
Wir haben auch die Texte von der neuen Ausstellung geprüft.
Dabei geht es um die Vergangenheit,
aber auch um die Gegenwart und die Zukunft.
In Schloss Hartheim sind viele Gräueltaten passiert.
Hoffen wir, dass das nie wieder passiert.
Interviewerin:
Wie ist es dir beim Prüfen der Texte gegangen?
Karl:
Da hatte ich gemischte Gefühle.
Ich habe mich auch schon früher mit dem Thema auseinander gesetzt.
Es ist ein sensibles Thema.
Traurig, was da passiert ist.
Es hat aber auch Fortschritte gebracht:
Heute machen sich die Menschen Gedanken.
Sie lernen aus der Vergangenheit.
Damit das nicht mehr passiert,
was in der Nazi-Zeit in Schloss Hartheim passiert ist.
Interviewerin:
Was ist dir bei den Textprüfungen leicht gefallen?
Karl:
Das Prüfen der Texte selbst auf leicht verständliche Sprache,
auf schwierige Wörter… das war alles wie immer.
Interviewerin:
Da seid ihr ja Profis. Ist dir auch etwas schwer gefallen?
Karl:
Die Texte waren anders als andere Texte,
die wir schon geprüft haben.
Das Thema hat uns halt im Herzen berührt.
Ich glaube aber, dass die Auseinandersetzung mit den Gräueltaten der Nazis
sehr wichtig ist.
Was mir bei den Textprüfungen über Skype gefehlt hat,
waren die Nachbesprechungen mit den Kolleginnen und Kollegen.
Normalerweise kann man sich da noch besser besprechen über das,
was man da gerade übersetzt hat.
Das Konzentrieren ist auch schwerer.
Man muss sich auf den geteilten Bildschirm konzentrieren bei Skype oder Zoom, dann soll man auch auf den Text achten und zuhören,
lesen und die Technik muss ja auch funktionieren.
Interviewerin:
Vielen Dank, lieber Karl.
Nun kommen wir zu meiner letzten Frage an dich:
Was möchtest du den Menschen noch sagen,
die sich die Ausstellung ansehen?
Karl:
Ich möchte ihnen sagen,
dass Texte in leicht verständlicher Sprache wichtig sind für alle Menschen.
Deshalb haben wir die Texte überprüft.
Die Ausstellung ist auch sehr wichtig.
Die Leute sollen verstehen, was da passiert ist.
Schloss Hartheim soll die Leute warnen und wachrütteln.
Sie sollen nicht sagen: „Das hat es nicht gegeben.“
Oder: „Das ist so lange her, das kann heute eh nicht mehr passieren.“
Man muss sich mit der Vergangenheit auseinander setzen.
Die Leute sollen sich die Ausstellung anschauen und darüber nachdenken!
Sie sollen sich auch die Texte in leicht verständlicher Sprache anschauen,
auch das ist wichtig.
Interviewerin:
Lieber Karl, ich danke dir vielmals für deine Zeit.
Hast du noch einen letzten Satz für uns?
Karl:
Hoffen wir, dass so etwas nie wieder passiert.
Zur Person:
Karl Mühlbachler arbeitet als Qualitätsevaluator bei Proqualis am Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I). Dort ist er mit seinen KollegInnen u.a. für die Prüfung von Texten in Leichter Sprache zuständig. Sämtliche Texte der Ausstellungen in Schloss Hartheim gibt es neben dem Originaltext auch in den Leicht-Lesen-Sprachstufen LL A2 und LL B1. Alle Texte wurden von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf die Verständlichkeit überprüft.
Bei Proqualis arbeiten Menschen mit Beeinträchtigungen als Experten und Expertinnen.
Karl ist 60 Jahre alt und seine Hobbys sind Lesen, Musik hören, Kino, Konzerte und Geschichten schreiben.
Die Geschichten sind selbstverständlich in leicht verständlicher Sprache.
Das Interview wurde am 30. November 2020 von einer Mitarbeiterin der Gut Verstanden GmbH via Zoom durchgeführt. Die Rechte für dieses Interview liegen bei der Gut Verstanden GmbH.